Armut ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Das bestätigen alle Hilfs- und Beratungsstellen, die es in der Stadt Gütersloh gibt. Eine wichtige Anlaufstelle ist seit 15 Jahren die Allgemeine Sozialberatung beim Sozialdienst katholischer Frauen (SkF). Im Büro Unter den Ulmen 23 stehen Cathrin Drosihn und Julia Bähr Menschen in Notlagen zur Seite, leisten erste Hilfe in Krisensituationen, beraten zu Möglichkeiten finanzieller Unterstützung, helfen bei Antragstellungen und bereiten Behördengänge vor. Entscheidende Erfahrung aus ihrem Berufsalltag: Der biografische Hintergrund der Menschen, die bei der Allgemeinen Sozialberatung Hilfe suchen, hat sich in den letzten Jahren deutlich verändert.
„Früher kamen zu uns vor allem Familien und Einzelpersonen, die bereits Leistungen nach dem Sozialhilfegesetzbuch bezogen haben,“ sagt Cathrin Drosihn, die seit acht Jahren beim SKF berät. „Besonders in den letzten fünf Jahren sind zu diesen Klienten immer mehr Familien und Alleinerziehende hinzugekommen, die arbeiten, aber deren Geld nicht mehr zum Lebensunterhalt reicht.“ Ganz konkret bedeute das: Die Wohnung sei zu teuer geworden, Nebenkosten könnten nicht zurückgezahlt werden, Kleidung für die Kinder nicht beschafft werden. Energiekrise, Wirtschaftskrise, die allgemein bedingte Verteuerung des Lebensunterhalts machen Cathrin Drosihn und Julia Bähr als Ursachen aus. Und auch das gehört zu ihrer Alltagserfahrung: „Zu uns kommen Menschen, die am Monatsende nicht mehr genug Geld haben, Lebensmittel kaufen zu können, obwohl sie arbeiten.“
Lebensmittelgutscheine schaffen hier erste Erleichterung. Manchmal ist es auch einfach das Gespräch, sich „Ausweinen“ können, zu wissen, dass man nicht allein ist in einer Notlage, die zunehmend auch Menschen aus der so genannten „Mittelschicht“ trifft: Krankheit, Arbeitslosigkeit, Trennung in einer Partnerschaft – all das sind Gründe für einen akuten Hilfebedarf. Cathrin Drosihn und Julia Bähr jedenfalls sind mit all diesen Gründen vertraut und setzen hier an in ihrer Beratungstätigkeit: Aufklärung über Rechtsansprüche und Möglichkeiten finanzieller Unterstützung. „Viele wissen zum Beispiel nicht, dass ihnen Wohngeld zusteht,“ nennt Julia Bähr als Beispiel. „Oder sie scheuen den Weg zum Amt.“ Andere tun sich schwer mit mit den Anträgen, die beim Jobcenter oder den Ämtern nötig sind, um Auszahlungen sicherzustellen. Die Folge: Zustehende Unterstützungsleistungen werden nicht ausgezahlt, weil Anträge fehlerhaft oder nicht vollständig sind. „Und dadurch kommt es wiederum zu ganz akuten Notlagen, die an die Substanz gehen,“ so die Erfahrung der beiden Sozialarbeiterinnen beim SKF.
Auch hier habe sich ihre Arbeit in den letzten Jahren spürbar verändert, registrieren Cathrin Drosihn und Julia Bähr. Das Ausfüllen von Anträgen ist zum zeitintensiven Tagesgeschäft in der Beratungsstelle geworden, die insgesamt mit einem Stundenkontingent einer halben Stelle besetzt ist. Immer komplexere Anforderungen, Sprachbarrieren und individuelle persönliche Biografien ihrer Klienten verhindern meistens einen Ausfüll-Automatismus. 691 Beratungen verzeichnet der Jahresbericht des SkF für die Allgemeine Sozialberatung im Jahr 2024. Für 2025 erwarten Cathrin Drosihn und Julia Bähr eine weitere Steigerung: „Bis Ende September hatten wir bereits ca. 400 Beratungskontakte“.
„Als ziemlich einzigartig in dieser Form“ bezeichnet Dr. Ursula Pantenburg, Vorsitzende des SkF Gütersloh, das Angebot im Büro Unter den Ulmen 23. „Wir sind quasi die Hausarztpraxis der Sozialarbeit, Türöffner mit einem niedrigschwelligen Angebot, erste Anlaufstelle und Lotsendienst – unabhängig von Nationalität, Geschlecht und Religionszugehörigkeit.“ Die Kapazitäten jedoch sind schon länger an ihre Grenzen gekommen. Um Wartezeiten nicht ins Unkalkulierbare zu verlängern („Das hilft niemandem, der vor einer Wohnungskündigung steht“), hat die Beratungsstelle inzwischen ihre Tätigkeit auf Familien, Frauen in einer akuten Trennungsphase und Alleinerziehende begrenzen müssen.
„Es gibt keine gesetzlich verankerte Pflicht für die Allgemeine Sozialberatung.“ erläutert Dr. Pantenburg. In Gütersloh wird die Tätigkeit durch einen Zuschuss der Stadt, aus Spenden und Eigenmitteln finanziert – eine eher fragile Grundlage angesichts von Umfang und Nachfrage an dieses Angebot. Der Wunsch für die Zukunft liegt daher auf der Hand: „Mit einer verlässlichen Grundlage für die Finanzierung einer halben Stelle wäre uns schon weitergeholfen,“ sagt Dr. Ursula Pantenburg und richtet damit nicht nur einen Appell an die Kommune, „deren finanzielle Engpässe uns natürlich bewusst sind.“ Die Festschreibung der Allgemeinen Sozialberatung im Sozialgesetzbuch sei notwendig, um eine in jeder Hinsicht entlastende, aber auch präventive Arbeit sicherzustellen. Dr. Pantenburg: Die Allgemeine Sozialberatung liefert auch einen Beitrag zur Stärkung der Krisenresilienz der Gesellschaft. Frühe Hilfen sorgen dafür, dass Problemlagen sich nicht manifestieren.“
Bildunterschrift:
Das Team der Allgemeinen Sozialberatung: Julia Bähr (l.) und Cathrin Drosihn.